Das Fischerviertel, das auch "Klein Venedig" genannt wird, ist das einstige Ulmer Handwerkerviertel. Mittlerweile hat es sich jedoch zum Nobelquartier gemausert. Das Schmuckstück dieses Viertels ist zweifellos "Das Schiefe Haus". Ursprünglich war es von Fischern bewohnt, wie ein im Keller entdecktes Bassin bestätigt, in dem der noch lebende Fang aufbewahrt werden konnte. Später ging das Haus in den Besitz anderer Handwerker über. Im 19. Jahrhundert setzte ein Verelendungsprozeß ein, der sich an den Hausbewohnern nachvollziehen lässt: Schweinehirten, Fabrikarbeiter und die völlig verarmte Witwe des unglückseligen Schneiders von Ulm haben hier gelebt. Heute ist das Schiefe Haus – nach aufwendiger und sensibler Sanierung – ein exklusives und mit Sicherheit einmaliges Hotel, dessen schräge Zimmerböden den Gästen die seltene Möglichkeit bieten, sich in völlig nüchternem Zustand betrunken zu fühlen. In die Schieflage ist das Haus geraten, weil die Südseite in der Blau steht. Deren Grund gab unter der Last des Bauwerks nach und dieses neigte sich immer weiter. Um das zu verhindern, versuchten die Bewohner die Neigungen durch Aufschüttungen im Inneren des Hauses auszugleichen. Dadurch wurde die Südseite immer noch schwerer und schiefer, bis die Sanierung 1995 diesen ruinösen Prozeß stoppte und das von der Last befreite Gebälk buchstäblich aufatmete.
links: Das Schiefe Haus
Das Fischerviertel liegt direkt an der Donau und somit auch an der Stadtmauer. Die heutigen Zugänge zum Donauufer sind erst in jüngerer Zeit in die Mauer gebrochen worden. Auch das Loch am Ende der Vaterunsergasse. Die Schauergeschichte, daß hier in Pestzeiten die Kadaver der Seuchenopfer in die Donau geworfen worden seien und wonach man ihnen auf dem Transport durch besagte Gasse ein letztes Vaterunser gemurmelt habe, gehören in den Bereich der Sage. Die Gasse heißt so, weil sie zu durchschreiten gemäß der traditionellen Zeitmessung "ein Vaterunser lang" dauerte.
Der neben den Fischern wohl älteste Wirtschaftsfaktor des Fischerviertels waren zweifellos die Mühlen. Insgesamt lagen sieben Mühlen an den beiden Blauarmen im heutigen Fischerviertel. Die nördlichste ist die Lochmühle, die 1977 als eines der ersten Objekte in Ulm restauriert wurde. In der "Ulmer Münz" wurden von 1620 bis 1624 die Ulmer Gulden geprägt.
… immer diese Touris im Bild ;-)
Romantische Wasserpartien, malerisch verträumte Winkel, enge Gässchen und historisch bedeutende und reizvoll gestaltete Fachwerkhäuser findet man im Fischerviertel genauso, wie schöne Speiselokale mit typisch schwäbischen Gerichten und das Schmuckatelier von "Rex" Dentler. Dieser bis nach New York bekannte Ulmer Künstler, den man nie ohne seine Krone sah, verstarb leider im Oktober 2006 im Alter von 82 Jahren. Er war eine lebende Ulmer Legende (Link zur offiziellen Homepage: www.rexdentler.de)
Schmuckatelier Dentler
Rechts neben dem Münsterplatz steht Der Neue Bau. Dieser Bau ist jedoch keinesfalls neu. Er wurde Ende des 16. Jahrhunderts errichtet. Vom Münsterturm aus hat man einen schönen Überblick auf das wahre Format des Neuen Baus, aber auch vom Innenhof aus sieht man seine architektonischen Reize. Vor diesem Schritt zögern jedoch manche, denn der Neue Bau ist der Sitz der Polizeidirektion Ulm. Die Zeiten, als im Innenhof standrechtliche Erschießungen stattgefunden haben, sind jedoch längst vorbei.
Da Ulm eine freie Reichsstadt war, brauchte die Stadt auch Vorratslager für Krisenfälle. Der Neue Bau wurde als ein solcher Stadel errichtet und es wurden zusätzlich Geschütze, Kugeln und Rüstwägen darin untergebracht. Im ersten Stock des Südflügels befand sich früher ein prunkvoller, holzgetäfelter Renaissanceraum. Als der Neue Bau 1924 bei einer Brandkatastrophe größtenteils zerstört wurde, konnte die Feuerwehr diesen Raum retten. Die Deckenkonstruktion wurde beim Wiederaufbau jedoch geändert, so daß die Decke zunächst nicht mehr passte. Als der Neue Bau 1938 als Offizierskasino der Nazis diente, wurde die Decke wieder in den Raum eingepasst. Heute dient er als Konferenzzimmer der Polizeidirektion.
Auf dem Areal des Neuen Baus befand sich früher der sogenannte Strölinhof, benannt nach der Patrizierfamilie Strölin. Dieser Hof ist Schauplatz einer der blutigsten Ulmer Sagen: Am St. Bonifaziustag, dem 05. Juni 1311 wollten die Ulmer Zunftmeister nach altem Brauch im Strölinhof dem Bürgermeister schwören. Doch der ließ sie wegen eines vorangegangenen Zwistes durch ein Türchen in einen Raum locken, wo einer nach dem anderen enthauptet wurde. Das Blut reichte bis zum Knöchel und floß den Weinhofberg hinunter in die Blau, die sich daraufhin rot färbte. Diese Sage, die in der Zeit der Machtkämpfe zwischen Zünften und Patriziat spielt, könnte einen wahren Kern haben.
Der berühmteste Gefangene des Neuen Baus war der Ulmer Altbürgermeister Albrecht Harsdörfer. Er hatte 1738 seinen Amtsnachfolger Marx Christoph von Besserer im Rathaus erschossen. Er fühlte sich von ihm "gemobbt", da von Besserer ihn über Jahre hinweg verspottet und gekränkt hatte, wobei permanente Anspielungen auf das 6. Gebot ("Du sollst nicht ehebrechen") eine Rolle gespielt haben sollen. Das Urteil lautete zunächst auf Abhauen der rechten Hand und anschließende Hinrichtung mit dem Schwert. Es wurde jedoch abgemildert in die ehrenvollere Erschießung.
Die Bomben, die am 17.12.1944 den größten Teil der Ulmer Altstadt in Trümmer legten, richteten auch am Neuen Bau schweren Schaden an. Und als ein Vierteljahr später die Amerikaner einmarschierten, hatte der damalige Polizeidirektor die Wahnsinnsidee, den Neuen Bau von Polizeibeamten verteidigen zu lassen. Doch die zogen es vor, die weiße Fahne zu hissen – zumal ihr heldenhafter Polizeidirektor zusammen mit den anderen lokalen Nazi-Größen bereits geflohen war.
Der Schneider von Ulm
D'r Schneider von Ulm
hat's Fliegen probiert,
No hot'n d'r Deifel
en d'Donau nei g'führt.
Der Schneider von Ulm hieß mit bürgerlichem Namen Albrecht Ludwig Berblinger und wurde am 24.06.1770 als siebtes Kind seiner Eltern geboren. Als er 13 Jahre alt war, starb sein Vater und er kam ins Waisenhaus. Von dort wurde er in eine Schneiderlehre geschickt, obwohl Albrecht viel mehr der Mechanik zugetan war. Er besaß eine große Erfindungsgabe, die er u. a. 1808 unter Beweis stellte. Ein Jahr zuvor, während der Ulmer Feier anlässlich Napoleons Sieg in der Schlacht bei Friedland, wurde dem Stadtsoldaten Elias Schlumperger durch einen explodierenden Böller der Fuß weggerissen. Damals waren als Prothesen noch hölzerne Stelzen üblich. Berblinger aber baute Schlumperger eine "künstliche Fußmaschine", die tatsächlich wie ein Bein aussah und sich in den Gelenken bewegte – die Vorfahrin der heutigen Prothese.
Albrecht Berblinger hatte sich vor allem in den Traum vom Fliegen verbissen. Mit einem selbstgebauten Flugapparat soll der Schneidermeister am Michelsberg hinabgeschwebt sein. Es waren die ersten Gleitflüge in der Geschichte der Luftfahrt. Als Berblinger seinen ersten richtigen Flugversuch starten wollte, sollte der württembergische König Friedrich I. nach Ulm kommen (30.05.1811). Es wird davon ausgegangen, daß das Gelingen des Fluges als sicher galt, da sich die Ulmer vor Seiner Majestät nicht blamieren wollten. Berblinger ließ auf die Adlerbastei (12 m über der Donau) noch ein sieben Meter hohes Gerüst stellen. Er wollte aus 19 Metern Höhe die Donau überfliegen. Bis zur Insel waren es 54 Meter, bis ans Ufer 64 Meter. Doch er wurde unsicher, sagte den Flug ab und trat am nächsten Tag erneut an. Im Gegensatz zum Versuchsgelände auf dem Michelsberg fehlte über der Donau jedoch der Aufwind. Albrecht zögerte erneut und es ist nicht genau bekannt, ob er freiwillig sprang oder von einem Polizeidiener gestoßen wurde. Albrecht Berblinger stürzte wie ein Stein ins Wasser und musste von Schiffsleuten gerettet werden. Der Schneider von Ulm wurde gnadenlos verspottet, er musste sogar für eine Weile aus Ulm fliehen. Er hatte seine Kundschaft und seine Existenzgrundlage verloren.
Er konnte sich zwar zu einem Neubeginn aufrappeln, ging jedoch als gescheiterte Existenz ("civiliter mortuus") in die Akten ein. Seine Frau Anna starb mit 54 Jahren im März 1820 an Abzehrung. Albrecht heiratete zwei Jahre später nochmals, die beiden Kinder aus dieser Ehe starben jedoch früh und die Not verließ ihn nicht. Am 28.01.1825 starb Albrecht Ludwig Berblinger im Ulmer Spital an Abzehrung. Wo sein Grab ist, weiß niemand. Die Dichter und Denker vergaßen ihn jedoch nicht. Max Eyth schreib 1906 über ihn den Roman "Der Schneider von Ulm". Spätestens als die Gesetze der Thermik entdeckt wurden, wurde Berblinger als Erfinder und Konstrukteur rehabilitiert. Leider viel zu spät für ihn.
Ulmer Mädla
Ulm em schena Schwabaland
isch ja lengscht scho weltbekannt,
durch da Spatza, durch da Schneider,
Kuhhirt, Menster und so weiter
doch Ulms Mädla schö und fei
derfet et vergessa sei;
denn em ganza Schwaba Gai
geit's jo koine schenre mai.
Drom send d'Ulmer so bekannt,
weil se de schenste Mädla hant.
1805 stand Napoleon vor den Toren Ulms und fegte in der Schlacht von Oberelchingen über die österreichischen Truppen hinweg. Diese verschanzten sich nach der Niederlage in Ulm und hofften zumindest auf freien Abzug. Aber der Korse hatte für die Österreicher nur Spott übrig: "Wie konnten Sie sich dazu verrennen, sich in einem so elenden Platz wie Ulm verteidigen zu wollen, der nicht einmal den Namen 'Festung' verdient?", soll er dem österreichischen Feldmarschall Karl Mack von Leiberich entgegengeschleudert haben, als dieser die Kapitulation überbrachte. Für Napoleon jedenfalls war der Weg nach Wien frei. Und Ulm bekam Jahre später ein Bauwerk, das den Namen 'Festung' gewiss verdiente (siehe nächster Absatz).
Ulm verfügt über eine Bundesfestung, eine große Verteidigungsanlage in Form eines Rings. Ulm sollte Rückhalt einer süddeutschen Armee sein, falls man den Feind in die Schranken weisen müsste. Sie sollte Süddeutschland vor französischen Truppen schützen, die jedoch niemals kamen. Die Festung Ulm wurde als Waffenlager, logistisches Zentrum und Kaserne konzipiert. Der preußische Major Moritz von Prittwitz und Gaffron wurde württembergischer Festungsbaudirektor, bayerischer wurde Major Theodor von Hildebrandt. Die Baukosten betrugen von 1842 bis 1859 16,5 Millionen Gulden, der mittlere Tageslohn der Festungsarbeiter lag bei etwa 40 Kreuzer, dafür bekam man etwa fünf Maß Bier. 1848 waren 8.000 Mann beim Festungsbau beschäftigt. Die Friedensbesatzung betrug 5000 Mann, für den Ernstfall waren 18.000 bis 20.000 Soldaten vorgesehen. Durch entsprechenden Ausbau hätte die Festung Ulm Platz für 100.000 Mann geboten. Die Anlage war jedoch von Beginn an unterbelegt. Ulm hatte zu Beginn des Festungsbaus 16.231 Einwohner, Ende des 19. Jahrhunderts etwa 43.000. Bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1859 war die Bundesfestung Ulm eine der größten und modernsten Anlagen ihrer Art in Europa – und rasch veraltet: Neue Geschütze ermöglichten dreifache Schussweiten. Die Forts, die den Angreifer weit vor der Stadt aufhalten sollten, lagen nun nicht weit genug. Aber das schadete nicht: Die Festung wurde nie in Kriegshandlungen verwickelt. Teile wurden von der Stadt als Kaserne genutzt, als Jazzkeller und während der NS-Zeit als Internierungslager. Viele Probleme gibt es heute bei ihrer Erhaltung. Fehlende oder beschädigte Mauerdächer, zerstörerischer Wildwuchs, Müllablagerungen, Vandalismus und unpassende Nutzungen haben stellenweise bereits zu großen Schäden geführt. Seit 1974 hält ein Förderkreis den Verfall auf.
(Link zur Homepage der Bundesfestung Ulm: www.festung-ulm.de)
Die 1811 von König Friedrich von Württemberg gestiftete Friedrichsau ist bis heute der größte Park der Stadt. Hier fand 1980 die erste baden-württembergische Landesgartenschau statt, in der ich mit meinen Eltern viel Zeit meines ersten Lebensjahres verbringen durfte :-) . Heute ist sie das naheste Erholungsgebiet der Stadt, das eine beschauliche Ruhe ausstrahlt, wie die in diesem Bereich träge dahinfließende Donau. Kleine Seen, große Wiesen, alte Bäume und ein Abenteuerspielplatz prägen den Park.
Zwar nicht in Ulm geboren, aber in Ulm aufgewachsen sind die Kinder der Familie Scholl. Die zwei bekanntesten Kinder dieser Familie sind Hans und Sophie Scholl, beides Mitglieder der Widerstandsgruppe "Die weiße Rose". Ihre Eltern Robert und Magdalene Scholl waren mit ihren fünf Kindern 1932 von Ludwigsburg nach Ulm gezogen. Der Vater war Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. 1917 wurde er in Ingersheim-Altomünster Bürgermeister. Dort kamen seine Kinder Inge (* 11.08.1917) und Hans Fritz (* 22.09.1918) zur Welt. Von 1920 an wirkte er als Bürgermeister in Forchtenberg am Kocher, wo am 27.02.1920 Elisabeth, am 09.05.1921 Sophia Magdalena und am 13.11.1922 Werner geboren wurden.
Als Hitler im Frühjahr 1933 an die Macht kam, traten auch die Scholl-Kinder in die Hitlerjugend ein – gegen den Willen ihres Vaters. Sie nahmen beim Jungmädchenbund und beim Jungvolk Führungsposten ein. Sophie war ein eher untypisches Mädchen, denn sie kletterte auf Bäume und trug einen Knabenhaarschnitt, weshalb sie mit 14 Jahren oft das "Buabamädle" oder einfach "d'r Bua" genannt wurde. Hans und Sophie träumten von der Freiheit und dachten anfangs, diese in der Hitlerjugend verwirklichen zu können. 1935 beim Reichsparteitag in Nürnberg wurde Hans jedoch klar, daß die tatsächlichen Ziele der Hitlerjugend nichts mit der romantischen Freiheit gemein hatte, die er meinte.
Hans ging 1940 zum Studium nach München, Sophie zog zwei Jahre später ebenfalls zum Studieren zu ihm. 1942 wurde von Hans und Alexander Schmorell der Entschluß gefasst, dem NS-Staat aktiven Widerstand entgegenzusetzen. Dafür mögen anonyme Flugblätter als Vorbild gedient haben, die die Familie Scholl in Ulm in ihrem Briefkasten gefunden hatte. In den Monaten Mai und Juni 1942 verfaßten und verbreiteten Schmorell und Hans Scholl vier Flugblätter. Von Ende Juli bis Anfang November 1942 waren Schmorell und Scholl an die Ostfront abkommandiert. Dort verstärkte sich ihr Kontakt zu dem 24jährigen Willi Graf, der sich nach der Rückkehr an ihren Aktionen beteiligte. Auch Sophie und der 49jährige Musikwissenschaftler Professor Dr. Kurt Huber schlossen sich der "Weißen Rose" an. Das sechste und letzte Flugblatt nahm die Niederlage von Stalingrad zum Anlaß, zum Kampf gegen die NSDAP aufzurufen. Dieses Flugblatt legten Hans und Sophie am 18.02.1943 vor den Hörsälen der Münchner Universität aus. Als Sophie die restlichen Blätter vom zweiten Stock in die Eingangshalle warf, wurden die beiden vom Hausmeister entdeckt und von der GeStaPo verhaftet. Sie wurden tagelang verhört und am 22.02.1943 zusammen mit Christoph Probst vom Präsidenten des Volksgerichtshofes, dem gefürchteten Roland Freisler, zum Tode verurteilt. Sie bekamen nicht die üblichen 99 Tage bis zur Vollstreckung zugesprochen, sondern wurden nur sieben Stunden nach Beginn der Verhandlung um 17.00 Uhr im Vollstreckungsgefängnis München-Stadelheim auf dem Schafott hingerichtet. Die anderen Mitglieder der "Weißen Rose" Alexander Schmorell, Kurt Huber und Willi Graf wurden in einem weiteren Prozeß am 19.04.1943 ebenfalls abgeurteilt und Monate später hingerichtet. Die Familie Scholl kam im Ulmer Frauengraben in Sippenhaft. Robert Scholl wurde 1949 der erste Ulmer Bürgermeister der Nachkriegszeit.